Der Aufschrei der Parteien gegen die notwendige Abschaffung des Parteienstaates

Auf einer AfD-Veranstaltung hat ein brandenburgischer AfD-Landtagsabgeordneter gefordert: „Wenn wir morgen Regierungsverantwortung haben, … dann müssen wir diesen Parteienstaat abschaffen.“ Das ZDF berichtete davon und löste einen Shitstorm von Altparteien und Verfassungsschutz gegen die AfD aus, die wieder zeige, dass sie die Demokratie abschaffen wolle. – Dabei ist „der Parteienstaat“ ein ganz bestimmter Begriff in Politikwissenschaft und Staatsrecht, mit dem eine äußerst problematische Entwicklung der Parteienherrschaft von der Demokratie zur Oligarchie gekennzeichnet wird. Doch Parteimitglieder wissen das in der Regel nicht, und so wissen sie auch nicht, was sie eigentlich tun.

Kampf um die Macht mit allen Mitteln (Stuttg. Nachrichten)

Der brandenburgischen AfD-Landtagsabgeordneten Lars Hünich hatte auf einer AfD-Veranstaltung in Falkensee im Havelland am 18. Januar gewagt, auch über den Tellerrand seiner eigenen Partei hinauszublicken, die Auswirkungen des heutigen Parteiensystems auf die Demokratie insgesamt ins Auge zu fassen und an die demokratische Verantwortung der eigenen Partei zu appellieren. Das ist so selten und ungewohnt, dass es das Denkvermögen normaler Parteisoldaten übersteigt und sofort heftige Abwehr- bzw. Angriffsreflexe der Machtbesessenen auslöste.

„Es gibt in Deutschland keinen ‚Parteienstaat‘, wie behauptet wird, sondern eine pluralistische Demokratie mit freien, gleichen und geheimen Wahlen. Wer einen Ein-Parteien-Staat will, der stellt das Grundgesetz infrage und gefährdet die freiheitlich-demokratische Ordnung“, habe Brandenburgs Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) reagiert, berichtet die Epoch-Times.1

Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Noack habe dem AfD-Politiker in einer Sitzung des Innenausschusses des Landtages heftig widersprochen. „Sie wollen einen anderen, nicht demokratischen Staat“, sagte er. Die AfD wolle andere Parteien „nicht mehr haben“. Ohne diese müsse die AfD nicht mehr mit Widerspruch rechnen.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) steigerte sich noch mit der Aussage, mit dem „Kampfbegriff Parteienstaat“ habe man schon einmal die parlamentarische Demokratie abgeschafft. „Das war 1933 und danach folgte eine Diktatur des Schreckens. Um es mit den Worten der AfD-Vorsitzenden zu formulieren: Mit solchen Forderungen zeigt die AfD eins ganz deutlich, diese Partei hasst die Demokratie“, so Stübgen.

Die Landtagsabgeordnete Lena Kotré sei indessen ihrem Fraktionskollegen mit dem Hinweis beigesprungen, dass Politiker in einem Parteienstaat laut „Wikipedia“ nur über bereits Entschiedenes in einem Parlament abstimmen würden. Hünich sei somit „für mehr Demokratie“.

„Das möchte der Verfassungsschutz in Brandenburg so allerdings nicht glauben“, schreibt die „Epoch Times“, „und schaltet sich nun in die Debatte ein. In der Sitzung des Innenausschusses sagte der Chef des Verfassungsschutzes, Jörg Müller: ´Wir haben das ZDF-Video schon gesichert. Es ist eingeflossen in die Bewertung zur Einstufung der AfD. Weil wir es als Verstoß gegen die Verfassung bewertet haben, was Herr Hünich da gesagt hat: die Abschaffung des Parteienstaates`, teilte der Verfassungsschutz-Chef nach „Bild“-Informationen mit. Damit verstoße der AfD-Abgeordnete gegen Artikel 21 des Grundgesetzes, das Parteienprivileg. ´Dort steht eben drin, dass die Parteien am politischen Meinungsbildungsprozess des Volkes mitwirken.` Wenn die Aussage Hünichs zutreffe, wäre das ´ein weiterer Baustein in unserer Sammlung zur Beobachtung der AfD als Verdachtsfall`.“

Ist er so dumm und ungebildet, oder handelt er wie gewohnt als „Verfassungsschmutz“, als gezielter Schützer der ständig verfassungswidrig handelnden Vertreter der Altparteien in ihren staatlichen Machtpositionen?

Ein Nachsehen sogar bei Wikipedia könnte ihm ja vom Diskussions-Niveau in den Wissenschaften eine anfängliche Ahnung verschaffen und zum Nachdenken anregen. Dort heißt es:

„Ein „Parteienstaat“ ist ein Staat, in dem die durch imperatives Mandat an ihre Parteien gebundenen Abgeordneten („Fraktionsdisziplin“) im Parlament die bereits in Ausschüssen oder Parteikonferenzen getroffenen Entscheidungen ratifizieren. Er wird gedeutet als Ergebnis eines unumkehrbaren Strukturwandels vom liberal-repräsentativen parlamentarischen System – der Parteiendemokratie, wie sie in den meisten westlichen repräsentativen Demokratien vorherrscht – zur parteienstaatlichen Massendemokratie. Damit geht der Charakter der völlig selbstständigen Willensbildung und Entscheidungsfindung im Parlament verloren.
Der Parteienstaat wird zum vollständigen Parteienstaat, wenn sich alle Staatsgewalten – Legislative, Exekutive und Judikative – ausschließlich in den Händen formierter gesellschaftlicher Kräfte wie der politischen Parteien befinden. Diese Art eines Gesellschaftssystems wird auch ´Parteienherrschaft` genannt. Der Parteienstaat ist Gegenstand rechtspolitischer Erörterungen.“
Der gesamte Wikipedia-Artikel ist empfehlenswert.2

 Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, so schreibt reitschuster.de3, sei in diesem Punkt deutlich besser informiert als Verfassungsschutz und Landtagspräsidentin zusammen, worauf Hünich auch selbst hingewiesen habe. In einer Ausarbeitung zu Themen der Parteiendemokratie heiße es: „Inzwischen haben die Parteien ihren Einfluss in Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik so weit ausgedehnt, dass Zweifel an der Legitimität ihres Handelns aufgekommen sind. Eine wissenschaftliche und öffentliche Debatte von wechselnder Intensität fragt danach, ob sich die Parteien durch die Legalisierung des Parteienstaates im Grundgesetz eine verfassungsrechtlich bedenkliche oder gar verfassungswidrige Machtstellung gesichert haben.“ Daraufhin würden sieben Kriterien aufgelistet, anhand derer man feststellen könne, ob bereits ein „vollständiger“ Parteienstaat vorliegt, und festgestellt, dass „weitgehende Übereinstimmung der politischen Realität der Bundesrepublik mit diesen Bedingungen“ gegeben sei.

Stellungnahme Hünichs

Lars Hünich, der aktuell nach Wikipedia auch ergänzend gesagt habe: „Wir brauchen keine Parteien, die von dem Staat bezahlt werden, den sie eigentlich kontrollieren und lenken sollen“, habe sich inzwischen auch selbst zu den Vorwürfen geäußert, so die „Epoch Times“ weiter. In einem Video auf der Plattform X habe er gesagt, seine Aussagen seien aus dem Kontext gerissen, doch er wolle „diesen Parteienstaat“ abschaffen. Der Begriff umschreibe nämlich, dass „Parteien sich die Institutionen, die Behörden, die Ministerien, die Zivilgesellschaft quasi unter sich aufteilen.“ Als Beispiel nenne er dann die Wahl des Präsidenten des Rechnungshofes Brandenburg. „Dieser wird seit diesem Jahr parteiisch gewählt. Da geht es darum, welches Parteibuch er hat“, so Hünich. Der AfD-Abgeordnete bemängele in diesem Zusammenhang, dass nicht die Qualifikation, sondern in diesem Fall das SPD-Parteibuch entscheidend für die Wahl sei.

Als zweites Beispiel nenne Lars Hünich die Richterernennung von Stephan Harbarth, dem heutigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Harbath habe seit 2009 für die CDU im Bundestag gesessen, zum Schluss als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Auf Vorschlag der CDU sei er dann 2018 zum Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewählt worden. 2020 sei Harbath dann auf den in den Ruhestand gegangenen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle gefolgt, der als SPD-nahe gegolten habe und seiner Zeit auf Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion zum Bundesrichter berufen worden sei. „Genau das ist das, was den Parteienstaat umschreibt. Das müssen wir abschaffen“, so Hünich. Der AfD-Politiker habe noch einmal betont, dass es hier nicht darum gehe, die Demokratie abzuschaffen. „Im Gegenteil, es braucht viel mehr Demokratie“, so Hünich.

Auch gegenüber dem Fernsehsender rbb habe Hünich noch einmal betont, er wolle weder Parteien noch Parlamentarismus abschaffen, wie es gerade behauptet werde.

Berühmte Kritiker des Parteienstaates

Schon 1965 unterzog der damals in Basel lehrende Philosoph Karl Jaspers die Strukturen und die Politik des westdeutschen Staates einer gründlichen Analyse, die er in seinem aufrüttelnden Buch „Wohin treibt die Bundesrepublik?“ veröffentlichte. Es hielt der noch jungen deutschen Republik vor, es bestehe in Wahrheit keine Demokratie, sondern eine Parteienoligarchie, also eine Herrschaft weniger, die so in eine Diktatur übergehen werde.4

Ab 1992 äußerte sich sogar der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (vormals CDU) kritisch über die Parteien, denen er vorhielt, sich „den Staat zur Beute gemacht“ zu haben. Die Parteien hätten „einen immer weitergehenden, zum Teil völlig beherrschenden Einfluss entwickelt“, der verfassungsrechtlich so nicht vorgesehen sei.5  Das vorrangige Ziel der Parteien sei, die nächste Wahl zu gewinnen und nicht langfristig Probleme dieses Landes zu lösen. Sie nähmen temporäre Stimmungen im Volk in ihr Parteiprogramm auf, um bei der nächsten Bundestagswahl möglichst viele Stimmen zu erhalten.6  „Nach meiner Überzeugung ist unser Parteienstaat von beidem zugleich geprägt, nämlich machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen Führungsaufgabe.“ 7

Bereits seit den 1980er Jahren zählt zu den bekanntesten Kritikern des Parteienstaates der Verfassungsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim, der in seinem 1993 veröffentlichten Buch „Der Staat als Beute: Wie Politiker in eigener Sache Gesetze machen“, Weizsäckers prägnante Formulierung aufgriff.

Also im Grunde sind es wissenschaftliche Ergebnisse, die entweder aus Dummheit ignoriert oder böswillig durch Diffamierung derjenigen, die sie geltend machen, bekämpft werden, womit indirekt das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit des Grundgesetzes angegriffen wird, ein totalitäres Phänomen, das sich ja schon in der Corona-Plandemie ausgebreitet hat.

Die prinzipielle Demokratiewidrigkeit des Parteiensystems

Die meisten Kritiker des Parteienstaates halten die Parteien schon für notwendig und sehen das Hauptproblem im gegenwärtigen Personal, dessen Geld- und Machtgier besser eingehegt werden müsse. Doch das Parteiensystem ist prinzipiell das Problem, unabhängig davon, um welche Leute es sich handelt.

Die Parteien und ihre Fraktionen im Parlament sind hierarchisch aufgebaute Organisationen, die ihre Mitglieder zur Durchsetzung von gemeinsamen Interessen zusammenbinden. Der Einzelne ist an die durch Mehrheitsbeschluss oder Vorstands-Vorgaben verordneten Parteirichtlinien gebunden. Seine eigenen Einsichten, Erkenntnisse und Motive spielen demgegenüber keine Rolle. Er unterliegt dem Gruppenzwang, der ihn als freie Individualität, auf der doch die Demokratie beruhen soll, ausschaltet und zum gehorsamen „Parteisoldaten“ degradiert. Das wird nicht dadurch anders, dass er seine parteiinternen Vormünder wählen kann. Der Mensch, durch Erkenntnis und Selbstbestimmung über das Tier erhoben, wird im „Hohen Hause“, wie der Volksmund treffend sagt: zum „Stimmvieh“.

Er ist im Grund nicht Abgeordneter des Volkes, sondern der Partei, deren Interessen er vertreten muss. Von daher liegt die Gesetzgebung de facto nicht beim Parlament, sondern bei der Mehrheits-Partei oder Koalitionsrunde, wo die Gesetzesvorhaben beschlossen werden. Das Parlament stellt nur noch formal das Forum dar, auf dem der Gesetzgebungsprozess als leeres Theaterstück für das Volk abläuft. Da zudem Parlamentsmehrheit und Regierung von derselben Partei gestellt werden, ist die Gewaltenteilung von Legislative und Exekutive praktisch aufgehoben.

Auch die Judikative ist von Parteimitgliedern durchsetzt und ihre Unabhängigkeit durchlöchert, was sich besonders gravierend beim Bundesverfassungsgericht, dem Hüter und maßgebenden Ausleger des Grundgesetzes auswirkt. Die 16 Richter werden je zur Hälfte von Bundesrat und Bundestag gewählt, also von Vertretern der Landesregierungen, die natürlich Parteien angehören, und von Parlamentariern, die Vertreter von Parteien sind. Die Parteien bestimmen also nach dem Proporz die Richter, die natürlich einer Partei angehören oder ihr besonders nahe stehen.8

Zudem sind sämtliche Gerichte in die Verwaltung der Exekutive eingegliedert: die ordentlichen Gerichte in die Verwaltung des Justizministeriums, die Verwaltungsgerichte in die des Innenministeriums, die Arbeitsgerichte in die des Arbeitsministeriums usw. Das heißt: Der jeweilige Minister wählt aus und ernennt die Richter und die Gerichtsleiter, bestimmt die Art und Weise der periodischen Überwachung der Richter in Geschäftsprüfungen, beurteilt ihre richterliche Tätigkeit in Dienstzeugnissen und entscheidet über ihre Beförderung an höhere Gerichte.

Diese Personalhoheit der Exekutive über die Richter bedeutet Macht über die Lebenswege einzelner Menschen. Jeder Richter weiß, dass seine Karriere davon abhängt, ob sein Verhalten, seine Entscheidungen dem Minister, also einem Vertreter der Exekutive, gefallen oder nicht. Das führt zur psychischen und sozialen Abhängigkeit der Richter von der Politik. Den Richtern wird im Grundgesetz zwar die sachliche Unabhängigkeit garantiert in dem Sinne, dass sie keinerlei Weisungen von irgendjemandem unterstehen, persönlich sind sie aber nicht unabhängig.9

Fazit

Dies alles macht offenbar, dass die im Grundgesetz verpflichtend vorgesehene Gewaltenteilung durch das Parteiensystem de facto aufgehoben ist. Alle drei Gewalten befinden sich jeweils in der Hand einer Partei oder Parteien-Koalition. Da nach übereinstimmender Auffassung der Staatsrechtler die Gewaltenteilung essentiell für das Bestehen eines demokratischen Rechtsstaates ist, handelt es sich bei der Bundesrepublik nicht um einen wirklichen Rechtsstaat und auch um keine Demokratie, sondern, wie bereits Karl Jaspers festgestellt hat, in Wahrheit um eine Parteien-Oligarchie, in der alle Macht in der Hand Weniger vereinigt ist.
Das Parteiensystem als solches ist prinzipiell Rechtsstaats- und Demokratie-feindlich.

Für eine Änderung bieten sich praktisch nur zwei Wege an. Der eine wäre in der Tat der vom Landtagsabgeordneten Lars Hünich angesprochene, dass eine Partei, wenn sie die absolute Mehrheit erreicht hat, den Parteien-Egoismus überwindet und das Wahlrecht so ändert, dass die Zweitstimme für Parteilisten und das Quasi-Parteien-Privileg für die Kandidatenaufstellung abgeschafft wird. Als Kandidaten dürften dann keine Vertreter von Parteien, sondern nur unabhängige Persönlichkeiten aufgestellt werden, so dass damit auch die Blockbildungen der Fraktionen aus den Parlamenten verschwänden.

Wenn das nicht gelingt, bleibt nur der zweite Weg. Dann müssen sich aus dem Egoismus und Wahn weniger Machtpsychopathen wohl erst noch weitere furchtbare Katastrophen entwickeln – die Wahnsinnigen steuern ja schon wieder auf den nächsten Krieg zu -, welche die notwendige Einsicht in die rechten Wege der freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung befördern.

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1   epochtimes.de 5. Februar 2024
2   https://de.wikipedia.org/wiki/Parteienstaat
3   https://reitschuster.de/post/ist-der-parteienstaat-spruch-des-afd-abgeordneten-huenich-verfassungswidrig/
4   Vgl.: https://fassadenkratzer.wordpress.com/2022/07/10/karl-jaspers-schon-1965-bundesrepublik-keine-demokratie-sondern-parteienoligarchie/
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2022/07/15/der-ubergang-von-der-parteienoligarchie-in-die-diktatur/
5   wie Anm. 2
6   https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_von_Weizs%C3%A4cke
7   https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/neue-wege/parteien-haben-die-weimarer-republik-zerstoert-und-tun-es-in-der-bundesrepublik-wieder/
8   https://fassadenkratzer.wordpress.com/2015/11/18/das-verhaengnis-der-politischen-parteien/
9   https://fassadenkratzer.wordpress.com/2021/11/03/die-justiz-in-der-gleichschaltenden-obhut-von-exekutive-und-legislative/

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Autor: hwludwig

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