Ergänzend zum vorigen Artikel folgt die Stimme eines erfahrenen Landwirts zu den Ursachen der desolaten Situation in der deutschen Landwirtschaft. Ziel der Agrarpolitik sei schon immer gewesen, dezentrale Strukturen zu zerstören und Landwirte zu Leibeigenen zu machen. Schon in den sechziger Jahren sei von der EU das Dekret ausgegangen, dass nur Betriebe größer als 100 Hektar gefördert werden dürfen und überleben sollten. Die kleineren Bauern seien immer mehr durch gedrückte Erzeugerpreise in die Enge getrieben worden, die nur die großen Betriebe durch größeren Flächenanbau hätten kompensieren können. Wir danken Egon W. Kreutzer für die freundliche Erlaubnis, den nachfolgenden Artikel von seiner Webseite zu übernehmen. (hl)
Leibeigene als Befehlsempfänger
Landwirtschaft in der BRD – ein Landwirt erinnert sich
Egon W. Kreutzer
Gestern Abend habe ich eine Mail erhalten, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten will.
Ein Landwirt,
der heute Morgen um halb sieben, als ich ihn fragen wollte, ob er der Veröffentlichung zustimmt, nicht ans Telefon kommen konnte, weil er – wie jeden Tag um diese Zeit – schon im Stall zugange war, hatte mir geschrieben. Beim Lesen habe ich mich erinnert. Ja. Das war so. Nur hatte ich das längst in den Tiefen meines Gedächtnisses vergraben. Gut, dass es auf diese Weise wieder zum Vorschein gekommen ist.
Kurz vor zwölf hatte ich ihn dann endlich selbst am Telefon. Dass ich seine Gedanken veröffentlichen will, freut ihn, dass er dabei lieber selbst anonym bleiben will, kann ich gut verstehen.
Aber, lesen Sie selbst. Eine Schilderung aus dem Wissen und aus der ganz und gar bewussten Sicht eines Landwirts:
„Leider muß ich immer wieder feststellen, dass bei Berichten über die Landwirtschaft in allen Medien nur oberflächlich oder falsch berichtet wird. Dies ist ein komplexes Thema, das über einen längeren Zeitraum betrachtet werden muss. Was jetzt seine Vollendung durchläuft, hat in den sechziger Jahren begonnen.
Dies ohne Widerstand seitens der sogenannten Verbraucher und Landwirte. Den sichtbaren Startschuss gab Mansholt, der in den Sechzigern das Mansholt-Dekret in der EU herausgab. Dies besagte kurzgesagt, dass nur Betriebe größer als 100 Hektar gefördert werden dürfen und überleben sollten. Es gab damals keine Hungersnot! Um dies zu beschleunigen, wurde Ende der Siebziger ein genialer Schachzug eingeführt. Die Erzeugerpreise wurden drastisch gesenkt, sodass die Herstellung nicht mehr kostendeckend war. Im Gegenzug führte man Flächenprämien ein. Das war der Anfang vom Ende der bäuerlichen Landwirtschaft. Hier hätte der Aufschrei hingehört. Aber die Funktionäre des DBV waren alles große Flächenbesitzer und hatten und haben ihre Posten in den Konzernen und Banken. Die einen wollten ihren Mist verkaufen, und die Banken wollten über Kredite an das Land. Der DBV hat damals wie heute seine Mitglieder auf die Schlachtbank geführt. Nun zu den Folgen.
Wenn man das eigentliche Ziel – wie oben erwähnt – immer vor Augen hat, ergibt sich aus dem ganzen Irrsinn ein Sinn. Das fruchtbare Ackerland wird inzwischen von Konzernen aufgekauft. Das Ziel ist ein Ernährungsmonopol. Eigentlich ist das Ziel bereits erreicht. Mehr als 95 Prozent der Betriebe sind überschuldet. Diese gehören schon den Konzernen. Siehe Bacon. Er sieht Hunger als die ultimative Unterdrückungswaffe. Nun noch einiges Wissenswertes:
Den momentanen Protest kann ich noch nicht einordnen. Warum der DBV die Landwirte auf die Straße getrieben hat, wird sich später herausstellen. Um die Situation der Landwirte geht es bestimmt nicht. Die meisten stehen mit dem Rücken an der Wand. Dies ist eher eine Verzweiflungstat. Ein System ändert man nicht. Die Würfel sind gefallen. Stirbt der Bauer, stirbt das Land. Ich bin selber Landwirt und beobachte die Entwicklung schon einige Zeit und erlebe den Irrsinn täglich selbst: Die Gängelungen durch Ämter und Kontrolleure, die niedrigen Erzeugerpreise. Trotzdem gibt es keinen erfüllenderen Beruf, als mit dem Lauf der Natur zu arbeiten. Menschen die diese Kraft und den Lebenswillen der Natur nie spüren werden, sind zu bemitleiden. Diese werden nie erfahren, was wichtig im Leben ist.“ |
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Quelle:
https://egon-w-kreutzer.de/landwirtschaft-in-der-brd-ein-landwirt-erinnert-sich
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Nachbemerkung (hl):
„Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen.“
(Hans-Jürgen Papier, früherer Präsident des BVerfG)
Was der Landwirt mit aller Deutlichkeit beschreibt, ist die Anmaßung eines Obrigkeitsstaates und des EU-Überstaates, die gesamte Landwirtschaft von oben planwirtschaftlich in Richtung agrarindustrieller Großbetriebe zu regulieren. Das geschieht zumeist durch infame indirekte Methoden, kleine und mittlere Höfe in wirtschaftliche Not zu treiben und zur Aufgabe zu zwingen.
Der nach dem Grundgesetz freie, seinen Beruf aus eigener Fachkenntnis selbstbestimmt ausübende Bauer wird einem nötigenden, seine wirtschaftliche Existenz vernichtenden fremden Willen unterworfen.
Der Staatsrechtler und frühere Richter am Bundesverfassungsgericht Prof. Udo Di Fabio stellt in einer Einführung in das Grundgesetz klar (Beck dtv-Texte 2007), welches Menschenbild diesem zugrunde liegt: „Der Mensch ist eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte Persönlichkeit.“ Das bedeutet, „dass kein Mensch zum bloßen Objekt auch der demokratischen Staatsgewalt degradiert, verächtlich gemacht werden darf.“
Das ist es, was der Landwirt oben in das Bild des „Leibeigenen“ bringt, der durch Niedrigpreise, Steuern und Subventionsentzug ausgebeutet wird und letztlich nur noch für andere arbeitet, für ihn selbst aber nichts mehr übrig bleibt. Er wird in seiner menschlichen Persönlichkeit entwürdigt.
Die tiefe Empörung dagegen liegt letztlich den in diesem Ausmaß noch nicht dagewesenen Bauernprotesten der Gegenwart zugrunde.