Claus Schenk Graf von Stauffenberg – Wider den „Widerchrist“

Oberst Claus Schenk Graf von Staufenberg war eine der zentralen Gestalten des militärischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Sein Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 scheiterte, und er wurde noch am selben Tag mit anderen Mitverschwörern verhaftet und standrechtlich erschossen. Michael Klein veröffentlichte zum 81. Jahrestag am 20. Juli 2025 auf ScienceFiles eine Würdigung des 37 Jahre alt gewordenen Patrioten, in der er vor allem auf dessen frühe Bildung im literarischen Kreis des Dichters Stefan George hinweist. Stauffenberg habe Georges schon 1907 verfasstes tiefes Gedicht „Der Widerchrist“ wie auf Hitler gemünzt gerne zitiert. Wir danken Michael Klein herzlich, dass wir seinen Artikel übernehmen dürfen. (hl) 

Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Von Michael Klein

am 20. Juli2025

Heute jährt sich einmal mehr das Attentat auf Adolf Hitler, das unter den Attentaten, die es auf Hitler gab, am meisten Publicity in heutiger Zeit erfährt. Johann Georg Elser, ein Tischler, der mit einer Zeitbombe, die am 8. November 1938 im Bürgerbräukeller zu München explodierte, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem Hitler seine für seine Verhältnisse sehr kurze Rede bereits gehalten hatte, versucht hat, den „Führer“ zu beseitigen, ist dagegen eher in Vergessenheit geraten.

Indes, Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist ein würdiger Held des Widerstands, ein Mann, der all das hat, was den meisten, die ihn und seine Mitstreiter heute für ihren Versuch, Hitler zu beseitigen, feiern, fehlt. Ein Versuch aus hätte und wäre: Hätte das Treffen, dem Schenk Graf von Stauffenberg als Stabschef der Reservearmee beigewohnt hat, nicht in einer Holzhütte, sondern im Bunker in der Wolfsschanze stattgefunden, in dem es gewöhnlich stattgefunden hat, dann wäre Hitler der Bombe nicht entgangen. Hätte Oberst Heinz Brandt die Aktentasche von Stauffenberg, in der sich die Bombe befand, nicht unter den Tisch geschoben, dann wäre Hitler nicht durch die Tischplatte geschützt und leicht verletzt aus der Explosion hervorgegangen. Wären die Telefonleitungen nach Berlin gekappt worden, dann hätte sich die Kunde von Hitlers Überleben erst nach dem bevorstehenden Putsch ereignet.

Aber es kam alles anders.

Schönwetter-Widerstandskämpfer, allen voran Generaloberst Friedrich Fromm, der Vorgesetzte Stauffenbergs, der Claus Schenk Graf von Stauffenberg, nachdem die Kunde von Hitlers Überleben nach Berlin gedrungen war, in aller Eile erschießen ließ, um seinen eigenen (sorry ass) Hintern zu retten, vereitelten den Erfolg von Stauffenberg, dem Mann mit der fehlenden rechten Hand, dem fehlenden linken Auge, der noch zwei Finger an seiner linken Hand vorweisen konnte, an dem der gesamte Widerstand und Erfolg des Attentats hing.

Denn: Stauffenberg brachte die Bombe nach Rastenburg in Ostpreußen, Stauffenberg platzierte die Bombe in Hitlers unmittelbarer Nähe (aus der sie Brandt verschob), Stauffenberg stahl sich aus dem Treffen, um zurück nach Berlin zu fliegen und dort die Leitung des Putsches zu übernehmen. Ein Krüppel, an dem der Erfolg des gesamten deutschen Widerstands hing und mithin, ein perfektes Bild des deutschen Widerstands zu dieser Zeit und ein Held, wie es sie nur selten gibt.

Bis Stauffenberg relativ spät zum Deutschen Widerstand gestoßen ist, obschon er bereits 1942 für seine Opposition gegen Hitler unter Oppositionellen bekannt war, war der deutsche Widerstand eine Schwatzbude, angeführt von Leuten wie Carl Goerdeler, einem ehemaligen Abgeordneten der DNVP, Johannes Popitz, einem – heute würde man wohl sagen: Rechtswissenschaftler, der ab 1932 zunächst als Minister ohne Geschäftsbereich der Reichsregierung angehörte und den Übergang in die von Adolf Hitler geführte Reichsregierung problemlos meisterte, angeführt von Leuten, die seit Jahren im Kreisauer Kreis darüber diskutierten, ob und wenn ja, wie sie Adolf Hitler beseitigen sollten bzw. diskutierten, um nicht aktiv werden zu müssen, so wie die meisten Generäle und Offiziere, die sich im „Widerstand“ befanden, stets Ausreden fanden, warum man Hitler gerade derzeit nicht erschießen oder gerade jetzt nicht absetzen könne.

Die Zaghaftigkeit, die Ausreden, die Versuche, Adolf Hitler und von seinem Nationalsozialismus so viel zu retten, wie nur möglich, die waren mit dem Auftauchen von Claus Schenk Graf von Stauffenberg als zentrale Figur des deutschen Widerstands beendet.

Stauffenberg war ein Mann mit Überzeugung und Prinzipien, ein Intellektueller, der dessen ungeachtet zur Handlung fähig war. Ein Mann, der die Leute, auf die er traf, mit seiner Präsenz elektrifizierte, sie, egal ob Freund oder Feind, in seinen Bann zu schlagen imstande war, einfach deshalb, weil er die Entscheidung, die er einmal getroffen hatte, konsequent verfolgte und ohne Suche nach Ausreden, die die Umsetzung verhindern können, umzusetzen trachtete. Nachdem Claus Schenk Graf von Stauffenberg beschlossen hatte, Hitler umzubringen, gab es nichts, das in davon hätte abbringen können, außer seinerseits umgebracht zu werden.

Die extraordinäre Persönlichkeit von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und die felsenfeste Überzeugung, auf der sie basierte, war u.a. im Kreis um den Dichter Stefan George gebildet worden, einen Dichter, den die Nazis vergeblich versuchten, für sich einzuvernehmen. Von George stammt das Gedicht „der Widerchrist“, in dem die Geschichte eines Täuschers erzählt wird, einer mächtigen und verführerischen Person, die die Massen manipuliert und täuscht. Mit Charisma und falschen Wundern gewinnt er Anhänger, die alles Wissen und alle Vernunft über Bord werfen. Der Erzähler des Gedichtes identifiziert sich mit dem Widerchrist, er verspottet seine Zuhörer und gibt mit seiner Fähigkeit an, sie zu täuschen und ihre Schwäche auszunutzen. Er macht sich über die Unfähigkeit seiner Zuhörer, sein wahres Ich zu erkennen, lustig, das wahre Ich, das sie in den Niedergang führen wird:

Der Widerchrist

Dort kommt er vom berge • dort steht er im hain!
Wir sahen es selber • er wandelt in wein
Das wasser und spricht mit den toten.

O könntet ihr hören mein lachen bei nacht:
Nun schlug meine stunde • nun füllt sich das garn •
Nun strömen die fische zum hamen.

Die weisen die toren – toll wälzt sich das volk •
Entwurzelt die bäume • zerklittert das korn •
Macht bahn für den zug des Erstandnen.

Kein werk ist des himmels das ich euch nicht tu.
Ein haarbreit nur fehlt • und ihr merkt nicht den trug
Mit euren geschlagenen sinnen.

Ich schaff euch für alles was selten und schwer
Das Leichte • ein ding das wie gold ist aus lehm •
Wie duft ist und saft ist und würze –

Und was sich der grosse profet nicht getraut:
Die kunst ohne roden und säen und baun
Zu saugen gespeicherte kräfte.

Der Fürst des Geziefers verbreitet sein reich •
Kein schatz der ihm mangelt • kein glück das ihm weicht
Zu grund mit dem rest der empörer!

Ihr jauchzet • entzückt von dem teuflischen schein •
Verprasset was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.

Dann hängt ihr die zunge am trocknenden trog •
Irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof…
Und schrecklich erschallt die posaune.

 Stefan George, Claus und Berthold Graf Stauffenberg, 1924 (schule-bw.de)

Stauffenberg hat dieses Gedicht gerne zitiert, denn er ist zu der Überzeugung gelangt, es bei Hitler mit einem Widerchristen zu tun zu haben, einer der aus diesem Grund, weil er Widerchrist ist, eliminiert werden muss, und nicht vornehmlich, weil er Deutschland in den Abgrund führt. Stauffenberg war von mehr bewegt als einer hohlen Treue an ein Deutschland. Leute wie Stauffenberg werden von moralischen Zielen von Idealen und Prinzipien geleitet, nicht von „Nationalismus“ oder ähnlichem. George hätte es vermutlich als vordergründig und bar jeder philosophischen Tiefe eingeordnet, von empfundenen Floskeln angefeuert.

Es braucht mehr als Schlagworte, um Personen wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg hervorzubringen, Personen mit Prinzipien, die für die Schönwetter-Widerständler, die ihre Überzeugung an die aktuellen Ereignisse anpassen, außer Verachtung nichts übrig haben, Personen, die ihre Ziele kompromisslos und bis zum Ende, bitter oder nicht, verfolgen. Stauffenberg, den sie heute wieder feiern, obschon die wenigsten, die ihn feiern, mit dem Mann Claus Schenk Graf von Stauffenberg warm geworden wären, ist damit beschrieben, ein Mann mit Prinzipien, Entschlusskraft, getrieben von einer tiefen Überzeugung, nicht von hohlen Phrasen, der getan hat, was er aus seiner Sicht tun musste.

Diese Charakterisierung ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich habe sie in all den Jahren, in denen ich mich mit dem Dritten Reich befasst habe, in unterschiedlichen Büchern gefunden, die Stauffenberg oder dem Widerstand gegen Hitler und sein Regime gewidmet sind, Bücher wie Fabian von Schlabrendorffs 1946 erschienenes Buch „Offiziere gegen Hitler“ oder Joachim Kramarz Buch mit dem Titel „Claus Graf Stauffenberg: 15. November 1907 – 20. Juli 1944 ; das Leben eines Offiziers“, das 1965 im Graefe Verlag für Wehrwesen in Frankfurt am Main erschienen ist, eines der Bücher, die ins Englische übersetz wurden. In der Ausgabe des Jahres 1967 mit dem Titel „Stauffenberg: The Architect of the Famous July 20th Conspiracy to assassinate Hitler“ [New York: Macmillan] findet sich das wohl beste Vorwort zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg, das ich kenne. Geschrieben hat es der britische Historiker HR Trevor-Roper.

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Das zuletzt genannte Vorwort ist auf Englisch am Schluss des Original-Artikels abgedruckt:
https://sciencefiles.org/2025/07/20/claus-schenk-graf-von-stauffenberg-wider-den-widerchrist/

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Nachwort (hl):

Ich teile nicht ganz Michael Kleins Einschätzung, Stefan George hätte sein Gedicht vermutlich als vordergründig und bar jeder philosophischen Tiefe eingeordnet, von empfundenen Floskeln angefeuert.
Sicher enthält es auch Elemente der Ironie, und der „Fürst des Geziefers“ erinnert an den eher noch untergeordneten Mephisto in Goethes „Faust“, den Herrn der Mäuse, Ratten und Fliegen. Aber die Ironie lassen Goethe und George jeweils gerade von Mephisto und dem Widerchrist einsetzen. Ironie und Zynismus sind ihre geringschätzige Sprache über die Menschen, die sich so leicht täuschen lassen.

Vor allem trägt das Gedicht den Ernst des großen Geschichtsbuches der Bibel, aus der die Weissagung des Antichrist stammt, des mächtigen Gegenspielers des Christus. Dieser kommt noch aus einer höheren Kategorie des Bösen als Goethes Mephisto. Ein Wesen jener Art, das noch ganz anders in die Menschenwelt verheerend einbricht, haben etliche Menschen im Angesicht Hitlers empfunden, durch den es wirksam wurde. Joachim Fest schildert in seiner Hitler-Biographie, wie dieser sich in seinen Reden noch einmal verwandelte: „`nach etwa fünfzehn Minuten tritt ein`, wie ein zeitgenössischer Beobachter bemerkt hat, ´was sich nur mit dem alten primitiven Bild sagen lässt: Der Geist fährt in ihn`.“ (Ullstein-TB Bd. I, S. 456)

 Auch der Historiker Karl Heyer schreibt zu Hitler: „Es ist das Phänomen eines Besessenen, d.h. eines Menschen, durch den, über das persönlich-menschliche Wesen hinaus, eine dämonische Macht wirkt, die ihn ergriffen hat. Diese dämonische Macht, nicht jenes Persönlich-Menschliche, ist das Entscheidend-Wesentliche an Hitler gewesen. … Wenn er seine großen politischen Reden begann, fing er oft erstaunlich belanglos und banal an. Man hatte das Gefühl: hier spricht der Mensch, schlaff, nichtssagend und wirkungslos. Dann aber, meist sehr bald, setzte plötzlich etwas ein, die ´Inspiration` oder wie man es nennen mag, war da. Der Geist war über ihn gekommen. Die Stimme, die Haltung, die Bewegungen wurden anders. Die Rede kam mächtig in Fluss. Nun füllte der ´Dämon` ihn aus, sprach durch ihn, und alsbald hatten sie die Hörer in ihren Bann geschlagen.“  (Der Staat als Werkzeug des Bösen, 2. Aufl. 1965, S. 104, 105)

Diese Wirksamkeit eines übermenschlichen Geistes des Bösen durch die Hüllen eines Menschen war das Entscheidende, das sich nur die wenigsten Menschen klarmachen; Stauffenberg gehörte zu ihnen.
Stauffenberg ließ sich später vor allem durch das Gedicht ´Der Widerchrist` mit seiner Warnung vor dem ´Fürst des Geziefers` in seinem Widerstand gegen Adolf Hitler bestärken und rezitierte es in den Tagen vor dem Attentat vom 20. Juli 1944 mehrfach. Am Vorabend des 20. Juli versammelten sich die Verschwörer im Hause Bertholds in Berlin-Wannsee noch einmal zu einem gemeinsamen Schwur, verfasst von Rudolf Fahrner und Berthold Stauffenberg. Darin heißt es in georgischem Ton und Duktus: ´Wir glauben an die Zukunft der Deutschen. Wir wissen im Deutschen die Kräfte, die ihn berufen, die Gemeinschaft der abendländischen Völker zu schönerem Leben zu führen`.“ (Wikipedia)

Hitlers Methode bestand im Wesentlichen darin, das Bewusstsein der Menschen einzulullen und auszuschalten, das selbst denkende Ich auf allen Ebenen durch seelische Ausnahmezustände der Angst und ununterbrochene Propaganda zu paralysieren. Die elementaren freiheitlichen Menschrechte waren zugunsten einer totalitären Herrschaft beseitigt.

Wer das Zeitgeschehen aufmerksam beobachtet, wird wahrnehmen, dass auch jetzt wieder ein ständig zunehmender Kampf gegen das selbst denkende Ich stattfindet, demokratische Freiheitsrechte z.B. im Rahmen von staatlich inszenierter Pandemie unter Erzeugung von Todesangst außer Kraft gesetzt und auch danach zunehmend eingeschränkt werden. Die Propaganda hat mit den fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten der modernen Massenmedien ein Ausmaß erreicht, von dem der NS-Propaganda-Minister Goebbels nur träumen konnte. Es findet ein unaufhörlicher Drang in den Totalitarismus statt.

Ein neuer Einbruch des Bösen, vielleicht eines noch mächtigeren „Widerchristen“, der nicht so plump brutal, sondern viel raffinierter auftritt, und im Vorfeld bereits durch viele Macht-besessene Politikdarsteller wirkt, muss befürchtet werden. Denn die Erfüllung der Apokalypse ist noch nicht vollständig eingetreten.

Und die autoritätsgläubige, gedankenlose Masse, wenn sie nicht endlich aufwacht für die Realität des wesenhaft Bösen:

Verprasset, was blieb von dem früheren seim
Und fühlt erst die not vor dem ende.

Dann hängt ihr die Zunge am trockenen trog,
irrt ratlos wie vieh durch den brennenden hof …
Und schrecklich erschallt die posaune.“

Das Böse als reale übermenschliche Wesen zu ignorieren oder sich gar einzureden, es gäbe sie nicht, nützt nichts. Wir liefern uns ihnen nur umso hilfloser aus. Wir müssen ihr Wirken in und durch die Menschen, uns selbst nicht ausgenommen, erkennen und uns ihnen wachsam entgegenstellen. Nur dann kann man ihnen entgegenarbeiten. Schließlich gibt es auch die „Waffenrüstung“ des übermenschlich Guten, mit der wir uns innerlich wappnen und erstarken können.

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Autor: hwludwig

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