Die heute unbekannte Dimension des Wesens Christi

Der Doppelname Jesus-Christus bezeichnet den Menschen Jesus von Nazareth und das hohe Gotteswesen Christus, das sich mit der Jordantaufe in Jesus inkarnierte. Letzteres wurde noch bis zum 3. Jahrhundert an Epiphanias, am 6. Januar, als das eigentliche Fest der Christgeburt gefeiert. Doch dann begann man der Geburt des Menschen Jesus  am 24. Dezember, dem heutigen Weihnachten, zu gedenken.1 Die evangelischen Kirchen sehen in Jesus Christus nur noch einen besonders hervorragenden Menschen; das hohe Gotteswesen, das in ihm Mensch wurde, ist ihnen weitgehend verloren gegangen. Im esoterischen Christentum ist es bewahrt worden. Und Rudolf Steiner hat das Wesen des Christus mit folgenden hymnischen Worten beschrieben. (hl)

Matthias Grünewald Isenheimer Altar (Wikipedia)


Rudolf Steiner:

„Christus ist ein Sonnengeist, ein Feuergeist. Sein Geist ist es, der sich uns im Sonnenlicht offenbart. Sein Lebensodem ist es, der in der Luft die Erde umspült und der mit jedem Atemzug in uns eindringt. Sein Leib ist die Erde, auf der wir wohnen.

Tatsächlich nährt Er uns mit Seinem Fleisch und Blut, denn was wir auch aufnehmen an Speise, es ist von der Erde, aus Seinem Leibe genommen.

Wir atmen Seinen Lebenshauch, den Er uns durch die Pflan­zendecke der Erde zuströmt.

Wir schauen in Seinem Lichte, denn das Licht der Sonne ist Sein Geistes-Strahlen.

Wir leben in Seiner Liebe, auch physisch; denn was wir an Wärme von der Sonne empfangen, ist Seine geistige Liebeskraft, die wir als Wärme empfinden.

Und unser Geist wird von Seinem Geiste angezogen, wie unser Leib gefesselt ist an Seinen Leib.

Darum muss unser Leib geheiligt werden, weil wir auf Seinem Leibe wandeln. Die Erde ist Sein heiliger Leib, den wir mit den Füßen berühren. Und die Sonne ist die Kundgebung Seines hei­ligen Geistes, zu der wir aufschauen dürfen. Und die Luft ist die Kundgebung Seines heiligen Lebens, das wir in uns aufnehmen dürfen.

Damit wir uns unseres Selbst, unseres Geistes bewusst wür­den, damit wir selbst Geistwesen würden, opferte sich dieser hohe Sonnengeist, verließ Seine königliche Wohnung, stieg herab aus der Sonne und nahm physische Gewandung an in der Erde. So ist Er physisch in der Erde gekreuzigt.

Er aber umspannt geistig die Erde mit Seinem Licht und Sei­ner Liebeskraft, und alles, was darauf lebt, ist Sein Eigentum. Er wartet nur darauf, dass wir Sein Eigen sein wollen. Geben wir uns Ihm ganz zu eigen, so gibt Er uns nicht nur Sein physisches Leben, nein, auch Sein höheres, geistiges Sonnenleben. Dann durchströmt Er uns mit Seinem göttlichen Lichtgeist, mit Seinen wärmenden Liebesstrahlen und mit Seinem schöpferischen Gotteswillen.

Wir können nur sein, was Er uns gibt, wozu Er uns macht. Alles, was an uns dem göttlichen Plan entspricht, ist Sein Werk. Was können wir dazu tun? Nichts, als Ihn in uns wirken lassen. Nur, wenn wir Seiner Liebe widerstreben, kann Er nicht in uns wirken.

Wie könnten wir aber dieser Liebe widerstreben? Dem, der da spricht: «Ich habe Dich je und je geliebt und habe Dich zu mir gezogen aus lauter Güte.»

Er hat uns geliebt von der Erde Urbeginn an. Wir müssen Seine Liebe in uns zum Wesen werden lassen.

Nur das bedeutet wirkliches Leben; nur da ist wahrer Geist, wahre Seligkeit möglich, wo uns dies Leben ein wesentliches Leben wird, das Christus-Leben in uns.

Nicht von uns aus können wir selbst rein und heilig werden, sondern nur von diesem Christus-Leben aus. All unser Streben und Ringen ist vergebens, solange uns nicht dies höhere Leben erfüllt. Das allein kann wie ein lauterer, reiner Strom alles hin­wegspülen aus unserem Wesen, was noch  ungeläutert ist.

Es ist der Seelengrund, aus dem dies reinigende Lichtleben aufsteigen kann.

Dort müssen wir unsere Wohnung suchen, zu Seinen Füßen und der Hingabe an Ihn.

Dann wird Er uns selbst umwandeln und uns selbst mit Sei­nem göttlichen Liebesleben durchströmen, bis wir licht und rein werden wie Er; Ihm ähnlich. Bis Er sein göttliches Bewusstsein mit uns teilen kann.

Durch Sein Licht muss die Seele rein, d. h. weise werden; so kann sie mit Seinem Leben sich vereinigen. Dann ist das die Vereinigung von Christus und Sophia, die Vereinigung des Christus-Lebens mit der durch Sein Licht geläuterten Men­schenseele.“ 2

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Albrecht Haushofer hat diese kosmische Größe Christi tief empfunden. In nationalsozialistischer Haft kommt ihm das obige Bild Matthias Grünewalds in Erinnerung und er schreibt das wunderbare Sonett:

Qui resurrexit (Er ist wiederauferstanden)

In tausend Bildern hab ich Ihn gesehn,
Als Weltenrichter, zornig und erhaben,
Als Dorngekrönten, als Madonnenknaben —
Doch keines wollte ganz in mir bestehn.

Jetzt fühl ich, dass nur Eines gültig ist:
Wie sich dem Meister Mathis Er gezeigt —
Doch nicht der Fahle, der zum Tod sich neigt,
Der Lichtumflossne: Dieser ist der Christ.

Nicht Menschenkunst allein hat so gemalt:
Dem Grabesdunkel schwerelos entschwebend,
Das Haupt mit goldnem Leuchten rings umwebend —

Von allen Farben geisterhaft umstrahlt,
Noch immer Wesen, dennoch grenzenlos,
Fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß.3

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Das geistig Grenzenlose, alles Irdische Durchdringende, Umfassende der göttlichen Wesenheit Christi schildert in ergreifender Weise auch ein irischer Soldat im 1. Weltkrieg:

                                    Er

Es leuchten Seine Augen in den Sternen,
im Kelch der Rose sehe ich Sein Blut.
Sein Körper strahlt im ew´gen Schnee der Firne,
im Regen schau´ ich Seiner Tränen Flut.

Ich seh` Sein Angesicht in jeder Blume,
der Donner und der Nachtigallen Ruf
sind Seine Stimme. – Und der Felsen Mauern,
Schriftzeichen sind es, die Sein Griffel schuf.

Sein Fuß hat alle Pfade ausgetreten.
Es pocht Sein Herz in wilder Wogen Schaum.
Ein jeder Strauch trägt seine Dornenkrone,
und Seines Kreuzes Holz ist jeder Baum.

                               Irischer Soldat
(1918 vor dem Kriegsgericht erschossen) 4

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1   Vgl. Epiphanias – das verschüttete Fest der Erscheinung des Logos

2   Rudolf Steiner am 24.9.1907, in Gesamtausgabe (GA) Nr. 266/3, S. 346

3   Albrecht Haushofer: Moabiter Sonette

4   Aus: Licht vom unerschöpften Lichte, Gebete und Sprüche für Tag und Jahr,
Stuttgart Urachhaus, 1983

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Autor: hwludwig

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