Gute Weihnachtsgeschichten fangen auf geheimnisvolle Weise etwas vom tieferen Sinn des Weihnachtsfestes ein. Die Erzählung „Der Heckrubel“ des russischen Schriftstellers Nikolai Leskow, der zu Lebzeiten, neben Dostojewski und Tolstoi, als der bedeutendste russische Prosa-Autor galt, führt uns langsam und unmerklich in eine innere seelische Verwandlung, ohne die das Christkind sozusagen in der Krippe unseres Herzens nicht geboren werden kann. Und darauf kommt alles an, wie Angelus Silesius in den Worten festgehalten hat: „Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren / und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“ (hl)
Nikolai Leskow (Serow-Porträt von 1894)
Der Heckrubel
von Nikolai Leskow
Es gibt einen Aberglauben, daß es möglich sei, mittels übernatürlicher Kräfte einen Heckrubel zu erhalten, das heißt einen Rubel, der, wie oft man ihn auch ausgäbe, immer wieder heil in die Tasche zurückkehrt. Allein um einen solchen Rubel zu erhalten, muss man zuvor große Ängste ausstehen. Alle kann ich nicht mehr aufzählen, aber ich erinnere mich noch daran, daß man unter anderem eine schwarze Katze ohne die geringsten Flecken nehmen müsse und diese in der Weihnachtsnacht an der Kreuzung von vier Straßen, von denen die eine unbedingt zum Friedhof führen muß, feilzubieten habe.
An einem solchen Ort muß man haltmachen und die Katze so lange zwicken, bis sie miaut, und dabei fest die Augen zudrücken. Und zwar muß man dies alles wenige Minuten vor Mitternacht tun, denn mit dem Schlag der Mitternachtsstunde wird dann jemand kommen, der die Katze erstehen will. Der Käufer wird für das arme Tierchen sehr viel Geld bieten, der Verkäufer jedoch soll unter allen Umständen nur einen Rubel verlangen, — nicht mehr und nicht weniger als einen Silberrubel. Nun wird der Käufer versuchen, dem Verkäufer eine größere Summe anzuhängen, allein dieser muß hartnäckig auf dem einen Rubel bestehen, und wenn er dann endlich diesen einen Rubel erhalten hat, muß er ihn in die Tasche tun und fest in der Hand halten, und darauf so schnell als möglich fortgehen und sich nicht umdrehen. Und dieser Rubel eben ist der Heckrubel oder der unausgebbare Rubel, — das heißt, wie oft man ihn auch für einen Gegenstand in Bezahlung gäbe, er kehrt immer wieder in die Tasche zurück. Um zum Beispiel hundert Rubel zu bezahlen, muß man lediglich hundertmal mit der Hand in die Tasche fahren und jedesmal den gleichen Rubel hervorziehen.
Dies ist natürlich ein leerer und unmöglicher Aberglaube; allein es gibt noch heute einfältige Leute, die nur zu bereit sind zu glauben, daß man Heckrubel in der Tat erlangen könne. Und als ich noch ein kleiner Bube war, glaubte ich ebenfalls daran.
2
Es war in meiner Kindheit, die Kinderfrau legte mich in einer Weihnachtsnacht schlafen und erzählte mir dabei, daß in dieser Nacht die meisten in unserm Dorf nicht an Schlaf dächten, sondern entweder Karten schlügen oder sich verkleideten und wahrsagten, und manche würden es unter anderm darauf anlegen, sich einen Heckrubel zu gewinnen. Sie verbreitete sich über das Thema, daß es jenen Menschen, die heute gegangen wären, einen Heckrubel zu erlangen, jetzt wohl sehr gräulich zu Mut sein müsse, denn diesen stünde ja bevor, an einem fernen Kreuzwege Auge in Auge dem Teufel gegenüber zu stehen und mit ihm um den Preis einer schwarzen Katze zu feilschen; andererseits freilich stünden diesen auch die allergrößten Freuden bevor … Wieviel wunderschöne Gegenstände könnte man sich wohl für einen solchen nie aussetzenden Rubel kaufen! Und was ich wohl täte, wenn mir ein solcher Rubel in die Hände fiele!
Ich war damals erst acht Jahre alt, aber ich war trotz dieses geringen Alters bereits in Orjol und in Kromy gewesen und kannte einige hervorragende Erzeugnisse der russischen Kunst, die von Kaufleuten gelegentlich des Weihnachtsjahrmarktes in unser Kirchspiel geschafft worden waren. So wußte ich, daß es auf der Welt sowohl gelbe Lebkuchen mit Honig als auch weiße Lebkuchen mit Zuckerkand gäbe, Sirupstangen und Zuckerln zum Lutschen und außerdem ein Naschwerk, das in unserer Sprache als süße Nudeln bezeichnet wurde, es gab auch gewöhnliche Nüsse und geröstete Nüsse, und für einen reicheren Beutel wurden sogar Rosinen und Datteln herbeigeschafft. Außerdem hatte ich Bilder mit Generälen gesehen und eine Menge anderer Gegenstände, die ich keineswegs alle kaufen konnte, da man mir für meine Einkäufe nur einen gewöhnlichen Silberrubel geben würde und keineswegs einen Heckrubel.
Aber da beugte sich die Kinderfrau über mich und flüsterte mir zu, daß heuer alles anders werden müsse, denn meine Großmutter besitze einen solchen Heckrubel, und die habe sich entschlossen, ihn mir zu schenken, freilich müsse ich sehr vorsichtig mit ihm umgehen, um dieser wunderbaren Münze nicht verlustig zu gehen, denn sie habe eine zauberische und höchst eigenwillige Eigenschaft.
„Was für eine?“ fragte ich.
„Das wird dir die Großmutter sagen. Jetzt aber schlafe, denn morgen, wenn du aufwachst, wird deine Großmutter dir den Heckrubel bringen und dir sagen, wie du mit ihm umgehen mußt.“
Geschmeichelt von diesem Versprechen, bemühte ich mich, augenblicks einzuschlafen, damit nicht das Erwarten des Heckrubels mich zu sehr quäle.
3
Die Kinderfrau hatte mich nicht getäuscht: die Nacht flog wie ein kurzer Augenblick, den ich gar nicht erst richtig bemerkte, vorüber, und schon stand Großmutter mit ihrer großen Haube mit den Tüllfalbeln vor meinem kleinen Bettchen und hielt in ihren weißen Händen eine neue, saubere Silber- münze, geprägt in bester und vollkommenster Qualität.
„Nun, da hast du einen Heckrubel“, sagte sie. „Nimm ihn und begib dich in die Kirche. Nach der Messe werden wir alten Leute zu Vater Wassılij, dem Geistlichen, gehen, um bei ihm Tee zu trinken, du aber kannst derweilen allein auf den Jahrmarkt laufen und alles kaufen, wonach du Lust hast. Und wenn du einen Gegenstand erstanden, dann fahr mit der Hand in die Tasche und gib den Rubel her, dieser aber wird sogleich aufs Neue in deiner Tasche sein.“
„Freilich“, entgegnete ich, „das weiß ich alles schon.“ Und preßte selber den Rubel in meiner kleinen Faust und hielt ihn, so fest ich konnte.
Großmutter fuhr fort: „Der Rubel kehrt zurück, das ist richtig. Das ist seine gute Eigenschaft, — und außerdem kann man ihn nie verlieren; andererseits aber hat er noch eine zweite Eigenschaft, die sehr fatal ist: der Heckrubel wird in deiner Tasche so lange nicht ausgehen, solange du nur Gegenstände mit ihm kaufst, die dir oder andern Menschen nötig und nützlich sind; solltest du aber einmal, und sei es auch nur für einen Groschen, etwas völlig Überflüssiges erwerben, so wird dein Rubel im gleichen Augenblick verschwinden.“
„Oh Großmütterchen“, erwiderte ich, „ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir das gesagt haben; doch seien Sie davon überzeugt, daß ich schon nicht mehr so klein bin, um nicht zu begreifen, was auf der Welt nützlich und was unnütz ist.“
Großmutter schüttelte den Kopf und meinte lächelnd, daß sie es dennoch bezweifle; allein ich beteuerte, daß ich sehr wohl wisse, wie man zu leben habe, wenn man so reich sei.
„Vortrefflich“, sagte Großmutter, „trotzdem aber sollst du an das denken, was ich dir soeben gesagt.“
„Seien Sie nur ruhig. Sie werden schon sehen, daß ich zu Vater Wassilij einen Haufen der schönsten Einkäufe bringen werde und daß sich mein Rubel dennoch heil und ganz in meiner Tasche befinden wird.“
„Ich werde mich sehr darüber freuen, — wir werden ja sehen. Immerhin sollst du nicht zu zuversichtlich sein, und denke daran, daß es keineswegs immer so leicht ist, wie du annimmst, das Notwendige vom Überflüssigen und Dummen zu unterscheiden.“
„Würden Sie nicht in dem Fall so gut sein, mit mir auf den Jahrmarkt zu gehen?“
Großmutter willigte ein, allein sie warnte mich zuvor, daß es ihr nicht möglich sein würde, mir dabei Ratschläge zu erteilen oder mich vor Fehlern und Übereilungen zurückzuhalten, denn jener, in dessen Besitz ein Heckrubel sei, dürfe von niemand Ratschläge annehmen, sondern müsse sich von feinem eignen Verstande leiten lassen.
„Oh, mein liebes Großmütterchen“, entgegnete ich, „Sie werden auch gar nicht in die Notwendigkeit versetzt werden, mir mit Rat beizustehen, — ich werde immer nur Ihr Gesicht anschauen und in Ihren Augen lesen, was nötig ist.“
„Schön, dann laß uns gehen!“ Und alsbald schickte Großmutter eines unserer Mädel zu Vater Wassilij und ließ sagen, sie werde ein wenig später zu ihm kommen.
Und so begaben wir beide uns denn auf den Jahrmarkt.
4
Das Wetter war vortrefflich, — ein leichter Frost mit geringer Feuchtigkeit; in der Luft roch es nach weißen Bauernstrümpfen, Lindenbast, Hirse und Lammfellen. Es war eine Menge Volk zusammengeströmt, und alle trugen das Beste, was sie hatten. Die Buben aus den reicheren Familien hatten alle von ihren Vätern für ihre kleinen Ausgaben je einen Groschen erhalten und diese Kapitale bereits auf den Erwerb von tönernen Pfeifchen verwandt, auf denen sie ein ganz vertracktes Konzert aufführten. Die ärmeren Kinder dagegen, die keinen Groschen erhalten hatten, standen vor dem Zaun und leckten sich nur neidisch die Lippen. Ich sah, daß sie ebenfalls den heißen Wunsch hegten, ähnliche Musikinstrumente zu besitzen, um aus ganzer Seele mit der allgemeinen Harmonie zu verschmelzen, und … ich blickte Großmutter an…
Tönerne Pfeifchen konnte man nicht gerade als notwendig bezeichnen, und nützlich waren sie schon keineswegs, allein in dem Gesicht meiner Großmutter las ich nicht den geringsten Tadel wegen meiner Absicht, jedem dieser armen Kinder ein Pfeifchen zu kaufen. Im Gegenteil, das gütige Antlitz der Greisin drückte eher eine gewisse Befriedigung aus, die ich als Billigung ansah: und sogleich versenkte ich meine Hand in die Tasche und zog aus dieser meinen Heckrubel hervor und kaufte eine ganze Schachtel solcher Pfeifchen und erhielt sogar noch ein wenig Kleingeld zurück. Als ich dieses in meine Tasche tat, tastete ich mit der Hand und merkte, daß mein Heckrubel heil und ganz war und sich wieder an seinem Platze befand, genau wie vor dem Einkauf. Und doch hatten alle Kinder ihre Pfeifchen erhalten, und selbst die Ärmsten unter ihnen waren plötzlich genau so glücklich wie die reicheren und pfiffen aus aller Kraft.
Großmutter und ich aber gingen weiter, und sie sagte zu mir: „Du hast recht gehandelt, denn auch die armen Kinder müssen spielen und lustig sein, und wer die Möglichkeit hat, ihnen zu einer Freude zu verhelfen, der soll stets vor allem bestrebt fein, diese Möglichkeit auszuführen. Fahre denn zum Beweis, daß ich recht habe, noch einmal mit der Hand in deine Tasche und schau nach, wo dein Heckrubel ist.“
Ich fuhr mit der Hand hinein und… mein Heckrubel befand sich in meiner Tasche.
Aha, dachte ich, jetzt habe ich also verstanden, wie die Sache liegt, und kann mutiger vorgehen.
5
Nun begab ich mich zu einem Laden, in welchem Zitz (feiner Kattun, hl) und Tücher feilgehalten wurden, und kaufte für jedes unserer Mädel ein Tüchlein, der einen ein rosafarbenes, der andern ein himmelblaues, für die alten Frauen aber kaufte ich himbeerfarbene Kopftücher; aber noch ein jedes Mal, wenn ich die Hand in die Tasche senkte, um die Bezahlung hervorzuziehen, war mein Heckrubel an seinem Platz. Darauf kaufte ich für die Tochter unserer Beschließerin, die demnächst heiraten sollte, zwei Schnallen aus Karneol und wurde dabei ein wenig unruhig; allein Großmutter zeigte nach wie vor eine gute Miene, und so befand sich denn auch nach diesem Einkauf mein Rubel wohlbehalten in meiner Tasche.
„Für eine Braut gehört es sich, sich zu putzen,“ sagte Großmutter, „dies ist ein ereignisreicher Tag im Leben eines jeden Mädchens, und es ist sehr lobenswert, wenn man sie erfreut, — denn wenn der Mensch sich freut, betritt er mutiger den neuen Lebenspfad, und es hängt doch so viel vom ersten Schritt ab. Du hast sehr wohl getan, die bedürftige Braut zu erfreuen!“
Darauf kaufte ich auch für mich selber eine große Menge von Süßigkeiten und Nüssen, in einem anderen Laden aber erstand ich ein dickes Buch, ´Der Psalter‘, genau das gleiche, das stets auf dem Tisch unserer Viehwärterin gelegen hatte. Die arme Alte hatte dieses Buch sehr geliebt, allein zum Unglück war das Buch auch nach dem Geschmack eines Zuchtkälbchens gewesen, das mit der Viehwärterin die Hütte teilte. Das Kälbchen hatte leider viel zu viel freie Zeit gehabt und diese damit verbracht, in einer glücklichen Stunde des Müßiggangs die Ecken sämtlicher Blätter des Psalters abzuknabbern. Somit war die arme Alte des Vergnügens beraubt worden, die Psalmen, aus denen sie für sich selber Trost schöpfte, zu lesen oder zu singen, und jammerte sehr über den Vorfall.
Ich war davon überzeugt, daß ich, indem ich ihr dieses neue Buch an Stelle des verlorenen alten kaufte, keine leere und überflüssige Tat verrichtete, und so war es denn auch: als ich meine Hand in die Tasche senkte, war mein Rubel aufs Neue an seinem Ort.
Die Zahl meiner Einkäufe wurde immer größer, und der Rahmen, in dem ich sie vollzog, wurde von mir immer weiter gesteckt, — ich kaufte einfach alles, was meiner Ansicht nach notwendig war, ja, ich kaufte sogar Dinge, die mir schon fast allzu riskant erschienen, so zum Beispiel kaufte ich unserm jungen Kutscher Konstantin einen reichverzierten Hüftgurt und unserm lustigen Schuhmacher Jegor eine Harmonika. Und trotzdem blieb der Rubel da, obwohl ich das Antlitz von Großmutter schon gar nicht mehr betrachtete und den Ausdruck ihrer Mienen nicht mehr befragte. Ich selber war jetzt der Mittelpunkt des Ganzen, — alles blickte mich an, alle folgten mir und sprachen über mich.
„Schaut doch nur unsern jungen Herrn an! Er ist für sich allein in der Lage, den ganzen Jahrmarkt zu kaufen, denn ihr müßt wissen, daß er einen Heckrubel besitzt.“
Ich selber aber fühlte etwas Neues und bis zu jener Zeit mir unbekannt Gebliebenes in mir. Ich wünschte, daß alle sich mit mir beschäftigten, alle hinter mir drein gingen und daß alle von mir sprächen, wie klug ich sei, wie reich und gütig.
Und da wurde es mir unruhig zu Mute und langweilig.
6
Um die gleiche Zeit jedoch näherte sich mir plötzlich, weiß Gott von wo, der dickbäuchigste von allen Jahrmarkthändlern, nahm die Mütze ab und redete mich an: „Ich bin hier der dickste von allen und erfahrener als alle, und mich können Sie nicht täuschen. Ich weiß, daß Sie alles kaufen können, was sich hier auf dem Jahrmarkt befindet, denn Sie haben einen Heckrubel. Wenn man einen solchen hat, ist es kein Kunststück, das ganze Kirchspiel in helles Erstaunen zu versetzen, und trotzdem gibt es dennoch etwas, was Sie nicht einmal mit diesem Rubel kaufen können.“
„Gewiß, wenn es ein unnützer Gegenstand ist, so werde ich ihn natürlich nicht kaufen.“
„Was heißt das, unnützer“? Würde ich Ihnen denn davon sprechen, wenn er unnütz wäre? Schauen Sie sich lieber um und beachten Sie, von wem wir umringt werden, obwohl Sie doch einen Heckrubel haben. Sie haben für sich selber nichts als Süßigkeiten und Nüsse gekauft, den andern dagegen eine Unmenge nützlicher Gegenstände, und nun schauen Sie, wie diese Ihre Wohltaten vergelten; schon jetzt haben alle Sie vergessen.“
Ich sah mich um und gewahrte zu meinem äußersten Erstaunen, daß der dickbäuchige Kaufmann und ich allerdings ganz allein dastanden und daß keine Sterbensseele sich in unserer Nähe befand. Großmutter war ebenfalls nicht da, ich hatte sie allerdings schon vorher vergessen, die anderen Jahrmarktbesucher aber hatten sich verzogen und umringten jetzt einen langen und hageren Mann, der über seinem Halb-Pelz eine lange gestreifte Weste trug, die mit glasähnlichen Knöpfen besetzt war, von denen, wenn er sich bewegte und zur Seite wandte, ein schwaches, trübes Flimmern ausging.
Das war alles, was an dem langen mageren Menschen anziehend sein konnte, und dennoch zogen die andern hinter ihm her und gafften ihn an, als wäre er die allermerkwürdigste Naturerscheinung.
„Ich kann nichts Besonderes an ihm gewahren“, sagte ich zu meinem neuen Gefährten.
„Mag sein, allein Sie müssen doch sehen, wie das allen gefällt. Und schauen Sie nur, auch Ihr eigner Kutscher Konstantin mit seinem geckenhaften Gurt folgt ihm, und der Schuhmacher Jegor mit der Harmonika, und die Braut mit den Schnallen, und sogar die alte Viehmagd mit ihrem neuen Buch. Gar nicht erst zu reden von den Kindern mit den Pfeifchen.
Ich blickte mich um, in der Tat, alle diese umstanden den Mann mit den glasähnlichen Knöpfen, und alle Buben pfiffen auf ihren Pfeifchen seinen Ruhm.
In mir regte sich das Gefühl des Verdrusses. Es schien mir schrecklich kränkend zu sein, und ich fühlte alsbald, daß es meine Pflicht und meine Berufung wäre, mich über den Mann mit den Glasstückchen zu erheben.
„Denken vielleicht auch Sie, daß ich mich nicht über ihn erheben kann?“
„Ja, das denke ich“, entgegnete der Wanst.
„Schön, dann werde ich Ihnen sogleich beweisen, daß Sie im Irrtum sind!“ rief ich, lief eilig auf den Mann, der die Weste über dem Halb-Pelz trug, zu und fragte ihn: „Hören Sie, wollen Sie mir nicht Ihre Weste verkaufen?“
7
Der Mann mit den Glasscherben drehte sich im Sonnenlichte zu mir um, so daß von den Knöpfen auf seiner Weste ein trübes Flimmern ausging, und erwiderte: „Einverstanden, ich bin mit großer Genugtuung bereit, sie Ihnen zu verkaufen, freilich ist sie sehr teuer.“
„Bitte sich deswegen nicht zu sorgen; sagen Sie mir schneller den Preis Ihrer Weste.“
Er aber lächelte verschmitzt und meinte: „Ich kann nicht verhehlen, daß Sie noch sehr unerfahren sind, wie es sich für Ihr Alter gehört, — Sie scheinen nicht ganz zu verstehen, worum es sich handelt. Was meine Weste betrifft, die kostet gar nichts, denn weder leuchtet sie, noch wärmt sie, und darum will ich sie Ihnen gern umsonst geben, aber Sie werden mir einen Rubel für jedes der an die Weste gehefteten Glasknöpfchen bezahlen. Denn obwohl diese Knöpfchen ebenfalls weder leuchten noch wärmen können, vermögen sie doch auf einen Augenblick ein wenig zu flimmern, und dieses gefällt allen Leuten sehr.“
„Schön“, versetzte ich, „ich will Ihnen einen Rubel für jeden Ihrer Knöpfe geben. Ziehen Sie schnell die Weste aus.“
„Nein, belieben vielmehr Sie zuvor das Geld aufzuzählen.“
„Auch gut.“
Ich steckte die Hand in die Tasche und zog meinen einen Rubel hervor, allein, als ich mit der Hand zum zweiten Male hineinfuhr, da … da war meine Tasche leer … Mein Heckrubel war nicht mehr zurückgekehrt . . . er war verloren … er war verschwunden … er war nicht mehr da, und dabei schauten alle rings mich an und lachten mich aus.
Ich brach in bittere Tränen aus und … ich erwachte.
8
Es war Morgen; vor meinem Bettchen stand Großmutter in ihrer großen Haube mit den Tüllfalbeln und hielt in der Hand einen nagelneuen Silberrubel, der das übliche Weihnachtsgeschenk bildete, das sie mir bescherte.
Da begriff ich, daß alles, was ich erblickt, sich nicht in Wahrheit, sondern nur im Traum zugetragen, und eilte ihr zu erzählen, aus welchem Grunde ich geweint hätte.
„Dein Traum ist gut“, sagte Großmutter, „besonders wenn du ihn richtig verstehen wolltest. In allen Märchen und Fabeln liegt immer ein besonderer verborgener Sinn begraben. Der Heckrubel, — er ist meiner Ansicht nach jenes Talent, das die Vorsehung jedem Menschen bei seiner Geburt verleiht. Dieses Talent entwickelt sich und wächst, wenn es dem Menschen, der auf dem Kreuzweg von vier Straßen steht, von denen eine ganz augenscheinlich zum Friedhof führen muß, gelingt, Munterkeit und Kraft in sich zu erhalten. Der Heckrubel, das ist jene Kraft, die der Wahrheit und Tugend zu Nutzen der Menschheit zu helfen hat und worin für einen Menschen mit einem gütigen Herzen und klaren Verstande die allerhöchste Genugtuung steckt. Denn was immer ein solcher für das wahrhafte Glück seiner Nächsten tut, wird niemals seinen geistigen Reichtum vermindern, sondern im Gegenteil, je mehr ein solcher aus seiner Seele schöpft, um so reicher wird diese.
Der Mann in der Weste, die er über dem warmen Halbpelz trug, ist die Eitelkeit, denn eine Weste über dem Halbpelz ist nicht nützlich, wie es auch nicht nötig ist, daß die andern uns folgen und uns preisen. Eitelkeit verdüstert den Verstand. Nachdem du einiges erreicht, und zwar sehr wenig im Vergleich mit dem, was du im Besitz dieses nie auszugebenden Rubels hättest erreichen können, warst du bereits hochmütig geworden und hattest dich von mir abgewandt, von mir, die ich in deinem Traum die Lebenserfahrung darstellte. Es war nicht mehr dein vornehmster Wunsch, den anderen Gutes zu tun, sondern du wolltest, es sollten dich alle anschauen und dich preisen. Du wünschtest die völlig überflüssigen Glassplitter zu haben, und so schmolz dein Rubel hin.
So gehörte es sich auch, und ich freue mich für dich, daß du eine solche Lehre im Traum erhalten hast. Ich wünschte sehr, daß dieser weihnächtliche Traum in deiner Erinnerung haften bliebe. Jetzt aber laß uns zur Kirche gehen, und dann wollen wir nach der Messe alles das kaufen, was du in deinem Traumgesicht für die bedürftigen Menschen gekauft hast.“
„Mit Ausnahme von einem, teures Großmütterchen.“
Großmutter lächelte nur und sagte: „Gewiß, ich weiß, daß du die Weste mit den gläsernen Knöpfen jetzt nicht mehr kaufen wirst.“
Und plötzlich hielten wir beide uns umarmt und sagten einander nichts mehr, sondern brachen in Tränen aus. Großmutter hatte ja erraten, daß ich beschlossen hatte, all mein kleines Geld an diesem Tage nicht für mich auszugeben. Und als ich meine Absicht dann wirklich ausgeführt, erfüllte sich mein Herz mit einer Freude, wie ich sie bis dahin noch nie verspürt hatte. In dieser Einbuße kleiner Vergnügen zum Wohle der andern empfand ich zum erstenmal das, was die Menschen mit dem hinreißenden Wort das volle Glück bezeichnen, den Zustand, da man wunschlos geworden ist.
Und so kann ein jeder in seiner gegenwärtigen Lage versuchen, mein Experiment zu wiederholen, und ich bin überzeugt, daß er in meinen Worten keine Unwahrheit, sondern die aufrichtigste Wahrheit finden wird.
„Nein, und ich will auch die Näschereien nicht mehr kaufen, die ich im Traum für mich selber gekauft.“
Großmutter überlegte eine Weile und sprach dann: „Ich sehe die Notwendigkeit nicht ein, daß du auf dieses geringe Vergnügen verzichten willst, allein … wenn es dein Wunsch ist, mit diesem Verzicht ein viel größeres Glück zu erkaufen, dann … dann begreife ich dich …“
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Aus: Nikolai Semjonowitsch Leskow. Geschichten vom Lande (Gesammelte Werke von Nikolai Lesskow ; Bd. 2). München : C.H. Beck [1927]
Der Heckrubel (Deutsch von Johannes v. Guenther)